Seattle, ein Herbstnachmittag, Spaziergang am Pier entlang, es regnet nicht, aber vorsorglich hast du deinen Regenschirm dabei. Und, wer hätte es gedacht, eine Handvoll Ganger der First Nation stellt sich dir in den Weg und verlangt Tribut. Reflexbooster im Wartungsmodus, Cybersporne beim Scherenschleifer, für die Predator laufen zu viele Passanten herum. Was tun?
Gentlemen-Runner wissen sich zu helfen. Frisch aus London – dem des ausgehenden 19. Jahrhunderts – über den großen Teich geschwappt: Bartitsu. Peitschenschlag mit Regenschirm in die Weichteile und schon ist Ganger Nummer eins außer Gefecht. Ein Schwinger und Ganger Nummer Zwei fällt zu Boden. Das Knacken, als der Regenschirmknauf die Schläfe trifft, lässt vermuten, dass der auch so bald nicht wieder auf die Beine kommt. Beine gespreizt, mit der Rechten den Schirm überm Kopf, die Linke nach vorn gestreckt, reizt den Gegner zum unüberlegten Angriff – Kampfpose in Perfektion und der Berwick-Anzug von Mortimer of London sitzt wie angegossen. Das macht Eindruck, der Rest der Gang sucht das Weite.
Was Arthur Conan Doyle als Baritsu seinem Protagonisten Holmes zur Selbstverteidigung andichtete, wurde etwa 1898 tatsächlich vom britischen Ingeniuer Edward William Barton-Wright entwickelt. Bartitsu (Doyle verzichte in seinen Krimi-Romanen vermutlich aus Urheberrechtsgründen auf das „t“ im Namen) ist ein Kofferwort aus der japanischen Kampftechnik Jui Jitsu und Barton-Wrights Nachnamen. Dieser lernte verschiedene Kampfkünste auf seinen Reisen in Indien und Japan kennen und studierte sie ausgiebig. Zurück in England gründete er in Soho die „Bartitsu Academy of Arms and Physical Culture“ und entwickelte den eigentümlichen Kampfstil, mit dem Detektiv Sherlock Holmes seinen Gegnern nicht nur physisch, sondern vor allem mental überlegen war.
Bartitsu vereint verschiedene Techniken, angefangen von Jui Jitsu, über Bareknuckle-Boxen (ja, das was in alten Schwarzweiß-Filmen immer so drollig ausschaut), dem französischen Kampfsport Savate bis hin zum Canne de Combat, dem sogenannten Spazierstockfechten. Dabei ist Bartitsu kein Kampfsport, also eine Disziplin, bei der im Wettkampf um Punkte gekämpft wird, sondern definiert sich als Kampfkunst, bei der es knallhart ausschließlich darum geht seinen Kontrahenten möglichst effektiv und dauerhaft auszuschalten. Straßenräuber im viktorianischen England waren nun mal auch nicht zimperlich. Ziel beim Bartitsu ist es, seine eigenen empfindlichen Körperteile bestmöglich zu schützen, den Gegner zu unüberlegten Handlungen zu provozieren und ihm höchstmöglichen Schaden an exponierten Stellen zuzufügen. Und letztlich auch dabei weder sich noch seine teure Kleidung zu verschmutzen oder zu beschädigen. Dabei schöpft der kämpfende Gentleman, oder auch die wehrhafte Lady, aus einer Vielzahl an Schlagtechniken und Paraden. Standardaktionen sollen den Gegner in Sicherheit wiegen. Kurzzeitig eigene Körperpartien zu exponieren sollen ihn zum Angriff bewegen. Mit unerwarteten Schlägen, Tritten und Hebeln wird der Gegner dann aus seinem Konzept gebracht schließlich niedergestreckt.
Bartitsu geriet schnell in Vergessenheit und lebte lediglich in den Sherlock-Holmes-Romanen fort. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts interessierten sich wieder Kampfkünstler für diese Art der Selbstverteidigung. Sie recherchierten und versuchten die alten Techniken zu rekonstruieren. Mittlerweile gibt es eine Handvoll Schulen, die diese Form wieder anbieten und weiterentwickeln. Auf Conventions, wie hier auf der FARK 2014 in Landsweiler-Reden, gibt es gelegentlich Workshops zum Reinschnuppern. Was auf dem ersten Blick vielleicht eher in einer viktorianischen LARP-Runde oder einen Steampunk-Setting anzusiedeln ist, lässt sich durchaus auch für Shadowrun verwenden. Sollte deinem Trafalga-Schießstock mal die Munition ausgehen (was bei einer einzelnen Kugel im Lauf recht schnell der Fall ist), bist du mit der entsprechenden Bartitsu-Talentsoft für den Nahkampf gerüstet und beweist Stil.
- Links: Bartitsu, Batitsu-Techniken (englisch)